Schwanger! Juhuuu! Nicht wirklich geplant und, wie seine große Schwester, inzwischen stolze sieben Jahre alt, einfach gekommen und heiß ersehnt.
Die Schwangerschaft war nicht leicht, weil mir drei Monate ununterbrochen übel war. Ein Monat Spitalsaufenthalt und viele, viele Infusionen. Ich wurde ziemlich dünn und Melvin wuchs prächtig in meinem Bauch heran. Sein Kopf und sein Bauch waren im Verhältnis zu seinem Körper relativ groß – Verdacht auf Schwangerschafts-diabetes,- aber nicht bestätigt. Alles schien normal zu sein, und der Geburtstermin wurde wegen seiner Größe um zwei Wochen vorverlegt.
Nachdem die Übelkeit endlich verschwand, konnte ich den Rest der Schwangerschaft voll genießen und hatte viel Zeit für meine Familie. Zwei Wochen nach dem Geburtstermin wurde ich an den Wehentropf gehängt. Die Geburt war schwierig und extrem schmerzvoll, und ich dachte die zweiten Kinder kommen schneller und einfacher………
Als ich Melvin zum ersten Mal sah, war ich ein bisschen schockiert, er hatte einen riesigen Kopf und sah nicht wie ein süßes, kleines Neugeborenes aus, er hatte auch fast 4,5 Kilo! Er sah sehr alt aus, und meine Mutter nannte ihn gleich einen Professor. Ein erstes Zeichen seiner Krankheit, er sah einfach anders aus wie die anderen Kinder und doch nicht so anders, als dass ich mir irgendwelche Sorgen hätte machen müssen. Einen Nabelbruch hatte er, ein bissl Gelbsucht, ansonsten war er pumperlg´sund.
Das erste Lebensjahr verging, alles war so wie es sein sollte. Melvin schrie selten, war meist zufrieden und nach dem Stillen war er die Seligkeit pur. Er hatte riesengroße Augen mit denen er die Welt beobachtete und dafür wurde er immer bewundert.
So irgendwann, ich glaube, er hatte gerade zu gehen begonnen (16,5 Monate), fiel mir plötzlich sein großer Bauch auf, besonders, wenn er stand. Ich machte mir meine Gedanken und musste heulen, weil ich dachte, er hätte vielleicht einen Tumor. Die Kinderärztin meinte, er hätte eine Hendlbrust und deshalb würden seine inneren Organe nach unten gedrängt. Das würde sich schon verwachsen. Das hörte ich dann noch öfter, wohl eine Lieblingsweisheit der Ärzte.
Der Nabelbruch ging und kam wieder, dann hatte er einen Leistenbruch. Zur Operation kam es nie, da er regelmäßig Fieber hatte. Der Bruch verschwand dann wieder und war nicht mehr nachzuweisen, wir waren nämlich in einem anderen Spital – um die berühmte zweite Meinung einzuholen.
Wir waren oft im Spital, wegen diesem und jenem, aber nie ist etwas Konkretes rausgekommen. Oja, er hatte große Polypen, das war ja schon mal was. Irgendwie hatte ich immer wieder so ein komisches Gefühl, dass etwas nicht stimmte, verdrängte es aber, eine Mutter denkt ja oft gleich ans Schlimmste.
Melvin wurde zwei Jahre alt und unsere Kinderärztin riet uns zu einer Untersuchung im Spital, da sein Kopf immer noch so groß war. Dort könnten sie sich auch gleich den Nabelbruch und die Polypen anschauen . Im Mutter-Kind Pass waren etliche Fragezeichen von ihr, sie konnte ihn nicht mehr mit gutem Gewissen ausfüllen. Im Jänner waren wir im Wilhelminenspital in der Ambulanz, und der Arzt der ihn untersuchte, schöpfte gleich Verdacht. Er sagte, dass wir möglichst bald aufgenommen werden sollten und dass es eine größere Untersuchung werden würde. Zuerst würde ein MRT gemacht werden, um zu sehen, wie sich sein Kopf entwickelt hat. Ich selber dachte nur: Aha, wieder unnötiger Spitalsaufenthalt, wird schon nix sein!
Als wir ein paar Tage später aufgenommen wurden, war irgendwie gleich die Rede von einer Stoffwechselkrankheit, das klang damals relativ harmlos für mich. Sie machten das MRT, Gehirnentwicklung in Ordnung, aber der Kopf ist falsch zusammengewachsen. Eine Spezialistin würde vorbeikommen, Dr. Susanne Kircher. Sie würde sich meinen Melvin ansehen. Sie kam, warf einen Blick auf ihn und wusste Bescheid. Verdacht auf MPS I. Sie beruhigte mich gleich, es wäre nicht schlimm, er würde halt nicht so groß werden. Aber die Krankheit sei unheilbar. Kircher meinte, sie würde alles tun, damit wir zu den richtigen Ärzten kämen, die sich auskannten und uns unterstützten, denn die Krankheit wäre äußerst selten.
Die Welt stand plötzlich Kopf. Melvin wirklich krank? Ich weinte vor allen Ärzten. Kircher sagte, ich sollte es nicht tun, diese Kinder seien alle etwas Besonderes und durch ihr sonniges Wesen sehr liebenswert. Aber sie sagte mir doch gerade, dass mein Kind schwer krank wäre – Wie konnte ich anders?
Am Abend rief ich Kurti, meinen Mann, an. Er weinte, er hatte schon in diversen Büchern nachgeschlagen (davon hat er viele, denn er ist engagierter Pfleger in Wien) und etliche Bilder gesehen. Ein Mädchen sah genau so aus wie Melvin, ich war selber schockiert, als ich es dann sah, vor allem den Kommentar „Prognose ungünstig“. Ich versuchte ihn zu beruhigen, er war knapp vor einem Nervenzusammenbruch. Scheiße, er sagte mir etwas über MPS, und es hörte sich sehr, sehr übel an. Aber wenigstens einer musste cool bleiben und ich biss die Zähne zusammen.
Am nächsten Tag wurde Melvins Harn gesammelt und sofort nach Graz geschickt. Im Spital hörte ich von einer Therapie, für die er eventuell in Frage käme, nur da sie sehr teuer sei, würde das ein Kampf mit der Krankenkasse werden. Ich hörte nur halb zu und hatte damals noch keine Ahnung wie ernst die Ärztin es gemeint hatte.
Da alles recht klar war, wurden wir bald entlassen, in Zukunft würden wir im AKH sein, dort gäbe es einen Spezialisten, Herrn Prof. Bodamer.
Wir bekamen schnell einen Termin bei ihm. Ich hatte mich in den letzten Wochen im Internet schlau gemacht und war gut vorbereitet, er erzählte mir nichts wirklich Neues. Wir besprachen, wie es jetzt weitergehen sollte. X Untersuchungen und ein Ansuchen an die WGKK wegen einer Enzymersatztherapie.
Die nächsten Monate waren der reinste Horror. Kurti rannte von Amt zu Amt, musste sich die schrecklichsten Dinge von unkompetenten und herzlosen Menschen anhören. Die WGKK lehnte die Bewilligung des Medikamentes ab, und das AKH wollte Melvin nicht jede Woche aufnehmen, denn die Infusionen würde er jede Woche bis zu seinem Lebensende bekommen.
In Deutschland und in Amerika wird die Therapie ohne große Probleme bewilligt. Das war echt schlimm für mich, da gibt es tatsächlich ein Medikament, erforscht, erprobt und zugelassen, und wir bekommen es nicht. Ich sah da keinen Sinn dahinter. Melvin ist das erste Kind in Österreich, welches behandelt werden könnte, und das alles wird auf seinem kleinen Rücken ausgetragen.
Kurti, und auch andere Menschen, die bereit waren uns zu helfen, kämpften weiter. Kurti schrieb hunderte Emails, bis er praktisch umfiel. Und die bittere Erkenntnis, dass die Menschlichkeit aufhört, wenn´s ums Geld geht…. Während die Großen mehr schlecht als recht zurechtkamen, ging´s unseren zwei Kindern immer gut. Tamina bekommt natürlich alles mit und weiß Bescheid, sie hat sich daran gewöhnt, das jetzt alles ein bisschen anders ist als vorher. Melvin ist ein richtig kleiner, wilder Bub geworden, und auf den ersten Blick wirkt er auch ganz gesund. Die Krankheit kommt noch nicht wirklich zum Tragen. Er kann noch nicht reden, das ist am auffälligsten. Dafür hat er eine wunderbare Körpersprache und kann sich so allen verständlich machen. Seit September geht er in den Kindergarten und es geht ihm sehr gut dort. In den paar Wochen hat er immens viel dazugelernt.
Und nun ist es tatsächlich geschafft! Wir haben endlich mit der ersehnten EET beginnen können!!!!! Prof. Bodamer sprach mit Primarius Hauser von der Kinderabteilung Mödling und er war sofort dabei. Wo ein Wille, dort auch ein Weg! Am 7. Oktober um 9.40 Uhr war Melvins wichtigster Moment seit seiner Geburt. ENZYM MARSCH!!!!! Die erste Infusion hat er super überstanden, nicht die kleinste Gegenreaktion! Und die fünf Stunden die er ans Bett gefesselt war, hat er mit links genommen, nicht einmal geraunzt hat er. Wir haben es uns viel schwieriger vorgestellt, aber ich denke, Melvin spürt worum es geht und dass dies sehr wichtig für ihn ist. 8 Monate, die unser Leben bis ins Kleinste verändert haben. Viele Erfahrungen und auch Enttäuschungen reicher. Viele unglaubliche Menschen kennen gelernt. Viele Tränen geweint. Viele Freunde gewonnen. Viel Liebe bekommen.
unbeschreiblich glücklich nach der 1. InfusionWas uns die nächsten Jahre bringen werden, das wissen wir nicht: Die Hoffnung, dass die EET einschlägt und ihm viele zusätzliche Jahre bringt. Vielleicht eine Chance, diese Krankheit einmal entgültig zu besiegen? Vielleicht hat es die nächste MPS-Familie ein bisschen leichter, kann ein bisschen die kleinen Früchte unserer Saat naschen?
Auf jeden Fall haben wir ein wenig Zeit gewonnen, ein kostbares Gut. Wir alle werden an Melvins Krankheit wachsen, er hat uns noch eine Menge zu „sagen“, das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen……….
Noch ein paar Worte zu seinem Namen Melvin. Kurti, ein regelrechter Bücherfan, drückte mir in der Schwangerschaft ein großes Kinderbuch in die Hand: Melvins Stern. Wir hatten den richtigen Namen gefunden, und die Geschichte ist ebenfalls wunderschön! Eigentlich ist es eine Weihnachtsgeschichte (kommt erst zum Schluss heraus):
Ein kleiner Engel will unbedingt Sternputzer werden, aber es ist ein kleiner Engel, und die meisten Sterne sind riesengroß. Eines Tages bekommt er einen winzigen, stumpfen Stern, den niemand haben will und den er mit seiner Liebe und Pflege zum Strahlen bringt……..
Nach der Diagnose meines Sohnes habe ich die Geschichte noch einmal gelesen und ich musste weinen, weil sie plötzlich eine ganz andere Bedeutung hatte. Jedes Kind hat so einen Stern, man braucht am Abend nur zum Himmel raufschauen, es gibt so viele davon……..