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Angst vor dem Unterbewusstsein

Teil 1

Wir reisten glücklich und gemütlich in unserem Auto. Mein Mann, meine zwei Söhne und ich. Die Autobahn erschien weit vor uns, das Wetter war schön. Die urige Landschaft neben der Straße, die alten Städte und die beeindruckenden Kirchen auf den Hügeln. Es war so viel grün, große Pinien und Weingärten zierten die Natur, und die Berggipfel im Hintergrund waren bereits angezuckert.

Nachdem wir einen Tunnel durchfahren hatten wurde die Autobahn schmäler. Wir fanden uns auf einer engeren Straße wieder neben der viele Fabriken standen. Plötzlich wurde aus der großen weiten Straße eine sehr enge Einbahnstraße, in der unser Auto gerade mal so Platz hatte. Unsere Kinder begannen unruhig zu werden. Die lange Reise war sehr anstrengend und ungemütlich für sie. Die Straße wurde steil, auf der einen Seite war der Abgrund, auf der anderen ragten blätterlose Bäume aus den Felsen des Berges.

Der Berg war so steil, wir mussten das Auto parken und zu Fuß über den steinigen Weg weiterlaufen. Mein Mann musste unseren jüngeren Sohn in den Armen tragen und ihn später einfach hinter sich herziehen, weil er so erschöpft war. Ich war, fast kraftlos, an seiner Seite, die Griffe des Rollstuhls unseres älteren Sohnes fest umschlossen, als wir plötzlich den Gipfel des Hügels und die Klippe erreichten.

Wir stoppten so unvorhergesehen, dass der Rollstuhl ein bisschen über den Rand des Abgrunds rutschte. Instinktiv griff ich nach der Hand meines Sohnes, um ihn vor dem Fall zu schützen. In diesem Moment, den Tod unmittelbar vor Augen, bat ich Gott mir die Stärke und Kraft zu geben, nicht loszulassen und meinen Sohn festhalten zu können. Ich verlor die Kraft, er rutschte aus meiner Hand… und ich wachte mit unfassbar schnellem Herzklopfen auf. Ich konnte nicht mehr einschlafen.

Teil 2

An einem mondbeschienenen Abend waren wir in einem Vergnügungspark. Mein älterer Sohn Gabo und ich fuhren mit dem Riesenrad, doch die Sitze waren einzeln angeordnet. So mussten wir getrennte Sitze nehmen. Er vorne und ich hinter ihm auf dem nächsten Sitz.

Ich war aufgeregt als es losging. Der Ausblick war wundervoll. Oben angekommen begann das Riesenrad komische Geräusche zu machen. Es was ohrenbetäubend. Plötzlich stoppte das Riesenrad. Im nächsten Moment öffnete sich der Sicherheitsgurt meines Sohnes. Er begann zu weinen, ich wurde panisch.

Der Gedanke daran, dass er fallen könnte… ich fing an um Hilfe zu schreien, doch niemand hörte mich. Ich fühlte mich so hilflos. Es war eine so gefährliche Situation, und ich konnte mich nicht bewegen. Mein Sicherheitsgurt war fest verschlossen. Ich war nicht einmal imstande zu ihm zu klettern, um ihn solange festzuhalten, bis Hilfe gekommen wäre.

Ich schaffte es irgendwie mich aus meinem Sitz zu befreien, fing an zu klettern und hielt mich an den Metallstangen fest bis ich bei Gabo ankam. Ich schrie so laut ich konnte. Während ich auf Hilfe wartete, meinen Sohn fest umschlossen, wachte ich auf und mir war klar, dass ich wieder einen Albtraum hatte.

 

Auf der Suche nach Lösungen in Anbetracht des Geschehenen

Dieses Mal wollte ich meinen Artikel damit beginnen zwei meiner Träume zu beschreiben. Besser gesagt: Albträume, die in gewisser Weise meine panische Angst in Bezug auf die Angst vor den Konsequenzen unserer Entscheidungen und Erfahrungen widerspiegeln. Es sind Situationen, die so schwer zu bewältigen sind, dass ich mich einfach nur auf den Willen Gottes verlassen kann, weil ich sonst nicht damit zurechtkomme.

Doch auch wenn man sich selbst in Gottes Händen weiß, hat man trotzdem einen Drang zu kämpfen und nicht aufzugeben. Man möchte nicht aufgeben und eine Situation bewältigen können oder wenigstens Alternativen finden. Genau dadurch wurde mir klar, dass das was ich vor mir habe, ein enormes Puzzle ist, bei dem ich das letzte Stück nicht finden kann.

Das fehlende Stück

Die Anzahl der Organe, die von MPS betroffen sind, ist unglaublich. Die Degeneration und der Schmerz gegen den unsere Söhne dieses Jahr kämpfen mussten – und noch immer müssen – sind überwältigend. Besonders schlimm ist das speziell für meinen ältereren Sohn Gabo, der aufgrund seiner geistigen Beeinträchtigung nicht sprechen und somit auch nicht beschreiben kann, was ihm weh tut.

Der Schmerz ist unser größter Feind. Das Schlimmste daran ist es, nicht zu wissen woher er kommt und ihn daher auch nicht bewältigen zu können. Es sind Schmerzschübe, die über den Tag verteilt kommen. Neben dem Weinen, sind es schmerzerfüllte Schreie und massive Gestikulationen, die das Leiden anzeigen und unsere Wohnung erfüllen. Anhand des intensiven Schwitzens, des hohen Blutdrucks, des Zitterns, der Panik, der Gänsehaut und der Blässe kann man die Stärke des Schmerzes erahnen. Wenn ich daran denke, rollen Tränen über mein Gesicht, und ich danke Gott, dass wir in diesem Moment gerade keine solche Qual haben. Es ist unbeschreiblich schwer, seinen eigenen Sohn so leiden zu sehen.

Viele Monate sind vergangen, bis es uns endlich gelungen ist, die Schmerzen zu lindern, auch wenn es nicht ganz vorbei ist und wir noch einen langen Weg vor uns haben. Doch wir machen weiter.

Anfang des Jahres, als wir mit Gabo in die Ambulanz kamen, fiel es den Ärzten schwer, herauszufinden, woher der Schmerz kam. Üblicherweise schickten sie uns mit einigen Schmerzmitteln, die am Ende nichts halfen, nach Hause. Wir waren viele Male dort und trafen in der Ambulanz jedes Mal auf einen anderen Arzt, dem wir alles von Grund auf erklären mussten. Es gab zu viele Kinder dort und die Zeit, die sie uns widmen konnten, war sehr kurz. Die Ambulanzärzte mussten uns auf andere Ärzte und Spezialisten verweisen .

Jedes Mal wieder fragte ich mich: „Was geschieht mit meinem Jungen? Ist es die Nekrose der Hüften? Ist bei der Operation ein Fehler passiert? Kann es ein Ösophagus-Magen-Problem sein? Kann es neurologisch sein? Sind es seine Zähne? Nierensteine?…“ Eine endlose Liste von Spekulationen und Fragen ohne Antworten.

Ich hatte das Gefühl als gäbe es keine effektive Kommunikation zwischen den Spezialisten. Die Basiskinderärztin konnte mir nicht richtig helfen, weil sie nicht mit MPS vertraut war. Sie empfahl uns wieder weiter. Oft fühlte ich mich ohnmächtig, weil ich keinen Arzt hatte, der uns zur korrekten Schmerzdiagnose führen konnte. Ich musste mich von meinem mütterlichen Instinkt zur Ursache des Schmerzes führen lassen.

Ich hatte den Verdacht, dass es Nierensteine waren – und ich hatte Recht. Gegen alle Widerstände bestand ich darauf, dass die Ärzte dies in Betracht zogen und dahingehende Untersuchungen durchführten. Die Ärzte können sich vermutlich nicht einmal annähernd vorstellen unter welcher Not und Angst man in dieser Situation täglich leidet.

Der ständige, unbehandelte Schmerz, die ständige Streichung schulischer Aktivitäten, keine Ferien, keine Entspannung… jeden Tag waren die unerwünschten Schmerzen präsent. Wir mussten den Schmerz akzeptieren und tolerieren. Das taten wir – mit großem Bedauern und Resignation. Ich legte das Leiden meines Sohnes im Gebet vor Gott.

Die ganze Zeit über haben wir dafür gekämpft, Freude und Glück in der Liebe und in den kleinen Dingen der Zärtlichkeit zu bewahren. Gabo hat nicht aufgegeben, er behielt sein wunderschönes Lächeln bei, das ihm Gesten der Zärtlichkeit von all jenen, die ihn lieben, ins Gesicht zaubern.

In den letzten Monaten hatte Gabo zwei urologische Operationen, er erhält seit Oktober eine adäquate Schmerztherapie. Jetzt, seit ein bisschen mehr Ruhe eingekehrt ist, beginne ich, alles, was passiert ist zu analysieren. Ich habe das Gefühl, dass, um dieses Rätsel zu lösen, der Schlüssel zum fehlenden Stück ein Arzt ist. Ein Arzt, der alles im Blick hat. Ein Arzt, der alle Informationen sammelt und später erforderliche Untersuchungen organisieren kann, weil er genau weiß, was unsere Kinder brauchen. Ein Arzt, der sein Augenmerk auf die richtigen Dinge legt, der eine sichere (Schmerz-)Diagnose stellen und, vor allem entsprechende Lösungen anbieten kann.

Ich weiß noch nicht, wo dieses fehlende Stück gefunden werden kann, doch bin ich zuversichtlich, dass ich es bald finden werde.

Grüße an alle meine Freunde der MPS- Familie! Ich möchte euch ermutigen, nicht aufzugeben!

Liebe Grüße,
Auxi